Nie war ich der puren, reinen Essenz des Lebens näher als in diesem einen Jahr, als ich gerade nach Traunstein zurück gezogen war. Die Nächte waren groß, es war der Sommer des deutschen Fußballmärchens. Wir feierten und lebten, wir waren die besten Freunde und liebten das Leben, als gäbe es kein Morgen. Und genau das war der Grund. Ich wusste, ich ahnte, dass mein behütetes Leben, wie ich es bisher gekannt hatte, bald zu Ende sein würde. Meine Mutter hatte Krebs. Je weiter der Sommer voranschritt desto heftiger musste ich feiern, um zu vergessen, dass sie sterben könnte. Der Tod und das unbändige Leben waren in diesem Jahr so eng verwoben, dass es gleichzeitig das beste und das schrecklichste Jahr meines Lebens war. Meine Mutter starb im Herbst. Trotz der grausigen Realität in der dieser Sommer endete, hing ich jahrelang wehmütig an diesem Jahr. Wie konnte es sein, dass das Jahr, in dem meine Mutter starb, eines meiner glücklichsten war?
Fünf Jahre später begann ich, diesem Paradoxon hinterher zu spüren und ein Buch darüber zu schreiben. Ich schrieb ein Buch über den Tod meiner Mutter und plötzlich verstarb mein Vater. Das Leben kehrte sich endgültig auf den Kopf. Ich hatte keine Eltern mehr, wurde selbst Vater. Der junge Mann aus meinem Roman existierte nicht mehr. Aber das Manuskript überlebte. Ich schrieb mit einer Begeisterung wie ich damals das Leben lebte. Es wurde mehr als ein Roman über den Tod meiner Mutter. Der Tod begleitete mich während der gesamten Entstehungsphase des Buches, also musste es ein Buch über den Tod werden. Aber ein Buch über den Tod wollte ich nicht schreiben. Zu stark und übermächtig hatte ich die Liebe zum Leben in den dunklen Stunden empfunden. Also wurde es ein Buch über das Leben. Und dieser Kraft, die stärker ist als der Tod und die das Leben lebenswert macht: Die Liebe.
Was wurde aus dem Projekt? "Wildes. Gutes. Leben." war der Arbeitstitel. Später nannte ich das Projekt "Sternleuchten in der Dunkelheit" Daraus wurde schließlich mein zweites Buch "Sterne sieht man nur bei Nacht".
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